Virginie Kamche: Klimaschutz ist ein Privileg
Virginie Kamche im Gespräch mit denkhausbremen über Klimagerechtigkeit, Privilegien und die mangelnde Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen in der Bremer Klima-Debatte. Virginie Kamche engagiert sich als Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung beim Afrika-Netzwerk-Bremen e.V. für interkulturellen Austausch und ist Trägerin des Diversity Preises 2019. Vom Bremer Landesfrauenrat wurde sie außerdem zur Bremer Frau des Jahres 2023 gewählt (Foto: Ana Rodríguez).
denkhausbremen: Von der Klimakrise sind alle Menschen betroffen, aber in unterschiedlichem Ausmaß. Wie wirkt sich der Klimawandel auf dein persönliches Leben aus?
Virginie Kamche: Man spürt schon deutlich, dass sich das Klima verändert. Hier in Bremen haben wir im Winter auf einmal ungewöhnlich hohe Temperaturen. Ähnlich ist es in meiner Heimat in Kamerun. Früher hatten wir dort zum Beispiel zwei Regenzeiten und zwei Trockenzeiten. Inzwischen merkt man, dass wirklich alles ein bisschen durcheinander ist. In dem Dorf, in dem meine Eltern geboren sind, können die Bauern daher nicht mehr so ernten wie früher. Sie haben durch die trockene Erde zum Teil auch große Schwierigkeiten, die Setzlinge richtig einzupflanzen.
Die Klimakrise ist natürlich ein sehr aktuelles Thema. Nicht nur durch die Medien kriegt man davon viel mit, auch durch meine Arbeit bin ich für dieses Thema sensibilisiert. Ich muss aber ehrlich sagen, als Mensch mit afrikanischer Biographie, also als eine Person, die in einem afrikanischen Land geboren und aufgewachsen ist, bin ich hier in meinem alltäglichen Leben mit anderen Problemen als der Klimakrise konfrontiert. Ich rede jetzt auch im Namen von Menschen, die ich kenne und die die gleiche Biographie haben.
Was für Probleme meinst du genau?
Ich meine damit zum Beispiel die Suche nach Wohnungen oder Jobs, die Klärung des Aufenthaltsstatus oder psychische Belastungen durch Fluchterfahrungen. Die Menschen sind also vor allem mit sich selbst beschäftigt. Manche sind hier, weil sie sich und vor allem ihren Kindern eine bessere Zukunft bieten wollen. Und dann kommen sie hier an und merken, dass sich ihr Leben aber nicht unbedingt verbessert und dass ihre Probleme auch nicht so schnell gelöst werden.
Du hast mal gesagt: “Sich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen, ist ein Privileg”. Das hat ja auch etwas mit Klimagerechtigkeit zu tun. Die Diskussion um die Klimakrise wird überwiegend von privilegierten Menschen geführt, die nicht so sehr mit diesen ganzen alltäglichen Überlebensproblemen konfrontiert sind…
Ja, das stimmt. Ich nenne es mal eine Art “Luxusproblem”, denn in erster Linie wollen die Menschen ihre Grundbedürfnisse befriedigen. Dadurch gerät die Auseinandersetzung mit der Klimakrise in den Hintergrund, auch wenn das natürlich wichtig ist. In der Bremer afrikanischen Diaspora sind Themen wie Klimagerechtigkeit oder die Klimakrise daher überhaupt nicht präsent. Es müsste also noch mehr dafür getan werden, um Menschen dafür zu sensibilisieren und vor allem Zusammenhänge zu erklären.
Hast du denn das Gefühl, dass das bei der jungen Generation anders ist?
Ja, auf jeden Fall. Vor allem unsere Kinder, die hier geboren und sozialisiert sind, beschäftigen sich in der Schule mit der Klimakrise und wollen was tun. Einige von ihnen leben dann zum Beispiel ganz bewusst vegan, weil sie wissen, dass sich das letztlich auch in Afrika positiv auswirkt. Davon kriegen dann natürlich auch ihre Eltern mit. Auch junge Menschen, die aus afrikanischen Ländern zum Studieren hierher nach Bremen kommen, kennen sich mit diesen Themen viel mehr aus.
Ich denke, Begegnung spielt eine enorm wichtige Rolle, damit wir uns austauschen und voneinander lernen können. Das meine ich auch in Bezug zu diesen ganzen Problemen, mit denen wir in unserem Alltag konfrontiert sind. Dafür muss gesellschaftlich eine Lösung gefunden werden, nicht in der eigenen Blase. Ich glaube, viele Menschen fühlen sich mit ihren Problemen allein gelassen und nicht ernst genommen. Manchmal fühlt es sich so an, als würde man uns nur durch eine Brille betrachten, ohne dass wirklich differenziert wird. Es ist leider so, aber man sieht uns nicht.
Was meinst du, woher kommt das – und wie ließe sich das ändern?
Diese fehlende Sichtbarkeit liegt zum Teil auch an uns. Wir sind wirklich viel unter uns in den Afro-Shops, die sind manchmal voll von Leuten. Dort wird viel über gesellschaftliche Themen gesprochen, aber die bleiben dann eben da. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sich mehr zutrauen und den Mut haben, ihre Probleme stärker in die Politik zu tragen. Viele junge Menschen treten da auch schon deutlich selbstbewusster auf, als die Älteren. Natürlich spielt da auch die Sprachbarriere eine große Rolle.
Viele Menschen haben wirklich Angst davor, ihre Probleme öffentlich zu äußern, ich denke, das ist auch eine Folge des Kolonialismus. Schwarze wurden von weißen Menschen zum Teil körperlich misshandelt, sobald sie das Wort ergriffen. Das ist im Kopf geblieben, dass dieser Dialog auf Augenhöhe nicht da ist. Und ich muss auch sagen: Wie viele Menschen mit afrikanischer Biographie sind in Deutschland in der Politik? Es gibt nur sehr wenige Vorbilder, die den Menschen Mut machen, ihre Stimme zu erheben und sich zu zeigen. All das führt dazu, dass sie lieber in ihrer Komfort-Zone bleiben und das wiederum macht es so schwer, sie daraus zu holen.
Apropos Politik: Wie lautet denn dein Appell an die Politiker*innen in Bezug auf Klimagerechtigkeit und Klimaschutz?
Politisches Handeln! Das ist sehr wichtig. Wenn Bremen klimaneutral werden soll, dann muss das noch konsequenter umgesetzt werden als bisher. Ich kann mir schon vorstellen, dass Politik bestimmt nicht immer einfach ist. Aber weltweit gibt es heute schon so viele Menschen, die unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden, weil die Politiker nicht ausreichend handeln. Und das, obwohl wir vor allem hier in Europa die Lösungen für eine lebenswerte Zukunft für Alle eigentlich kennen.
Das Gespräch führten Jana Otten und Jonas Daldrup.